Nach christlicher Überlieferung wird an Weihnachten die Geburt Jesu von Nazareth gefeiert. Genauer: die Menschwerdung Gottes – dass Gott nicht als König, Krieger oder Herrscher erscheint, sondern als hilfloses Kind, geboren am Rand der Gesellschaft. Der 25. Dezember ist dabei kein historisch gesichertes Geburtsdatum. Er wurde erst Jahrhunderte später festgelegt, vermutlich um bestehende heidnische Feste wie die Wintersonnenwende oder den Kult um Sol Invictus zu überlagern. Weihnachten ist also kein Geburtstag im historischen Sinn, sondern ein symbolisches Fest.

Und doch wird Jesus jedes Jahr neu geboren – und jedes Jahr erneut begraben. Nicht unter Steinen, sondern unter Geschenkpapier.

Jesus wurde nicht im Licht der Schaufenster geboren. Keine Lichterketten, keine Rabattaktionen, kein Duft von Zimt, der den Konsum überdeckt. Die Erzählung beginnt im Staub, im Improvisierten, im Randständigen: ein schlichtes Gewand, nackte Füße, kein Besitz, der verteidigt werden müsste. Und doch feiern wir seine Geburt heute in einer perfekt einstudierten Choreografie, die mit Schlichtheit kaum noch etwas zu tun hat.

Stattdessen steht da Santa. Oder besser: die Figur, die wir aus ihm gemacht haben. Rot gekleidet, wohlgenährt, freundlich lächelnd – ein Archetyp des Überflusses. Ein Spiel mit Buchstaben trennt Santa von Satan, und auch wenn das sprachlich Zufall sein mag, wirkt es symbolisch erstaunlich treffend. Denn hier wird verführt. Nicht zur Sünde im klassischen Sinn, sondern zur Selbstverständlichkeit eines Systems, das sich selbst frisst und dabei so tut, als wäre es Nächstenliebe.

Große Tieropfer gehören zu diesem Fest wie die Kerze zum Adventskranz. Braten, Würste, Fleischklöße in Übergröße – als müsste man die Leere, die das Jahr hinterlassen hat, mit Masse füllen. Tonnenweise Körper werden aufgetischt, als hätte das Christentum nie etwas von Barmherzigkeit erzählt. Fleischklöße wie Fäuste, Braten wie Beweisstücke. Das Tier stirbt, damit der Mensch sich satt fühlen darf – nicht nur körperlich, sondern moralisch. „Es gehört halt dazu“, sagt man, und meint: Hinterfrage nichts. Weihnachten als archaisches Opferfest, verkleidet als Familienidylle.

Die Familie kommt zusammen. Oft nicht freiwillig, sondern pflichtbewusst. Einmal im Jahr werden Konflikte konserviert und wieder aufgewärmt. Liebe wird simuliert, Nähe gespielt, Harmonie behauptet. Frieden auf Erden – zumindest bis zum Dessert. Sicher gibt es auch jene, die sich aus echter Freude an diesem Tag zusammenfinden. Doch sie sind nicht das Maß, an dem sich der gesellschaftliche Zwang orientiert.

Und währenddessen läuft die Kasse. Ein Großteil des Jahresumsatzes wird in diesen wenigen Wochen generiert. Nicht, weil Menschen plötzlich großzügiger wären, sondern weil sie sich gesellschaftlich verpflichtet fühlen. Schenken wird zur Pflichtübung. Kaufen zum Beweis von Wertschätzung. Wer nichts schenkt, liebt nicht genug. Wer wenig schenkt, hat sich nicht genug Mühe gegeben. Die Logik ist klar – aber sie hat mit der Botschaft Jesu wenig zu tun.

Man spricht ehrfürchtig von wirtschaftlichen Wundern: Neunzig Prozent des Jahresumsatzes in wenigen Wochen. Doch nicht Brot wird vermehrt, sondern Kaufdruck. Menschen kaufen nicht, weil sie wollen, sondern weil sie müssen. Geschenke sind keine Gaben mehr, sondern Quittungen sozialer Zugehörigkeit. Wer schenkt, beweist, dass er dazugehört. Wer es nicht tut, erklärt sich selbst zum Außenseiter. Liebe mit Preisschild. Zuneigung in Karton verpackt.

Dabei lief Jesus nicht herum und verteilte Dinge. Er verteilte Zeit, Aufmerksamkeit, Fragen. Er entzog sich der Logik von Besitz und Gegengeschäft. „Was hast du mir mitgebracht?“ war nie seine Frage. Und doch inszenieren wir sein Fest heute so, als hätte er einen stillen Deal mit Santa Claus: ein paar Geldscheine hier, ein bisschen Glanz dort – Hauptsache, die Maschine läuft weiter.

Aus diesem Jesus haben wir einen Markenbotschafter gemacht. Einen stillen Teilhaber am Weihnachtsgeschäft. Als säße er irgendwo im Hintergrund, nickend, während Santa Claus ihm ein paar Geldscheine rüberschiebt: „Passt schon, wir machen das in deinem Namen.“ Jesus als Feigenblatt für einen Konsumrausch, der ohne moralische Tarnung kaum zu ertragen wäre.

Vielleicht ist genau das der unbequemste Gedanke an Weihnachten: dass Jesus mit unserem Fest vermutlich wenig anfangen könnte. Weihnachten ist längst nicht mehr nur ein Fest – es ist ein Ritual der Disziplinierung. Wer nicht mitmacht, fällt auf. Wer sich entzieht, stört. Wer nichts kauft, gilt als verdächtig.

Offiziell feiert Weihnachten die Geburt eines Kindes im Stall.
Praktisch aber feiert es die Geburt des Jahresumsatzes.

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