Das Metaverse galt vor wenigen Jahren als Zukunftsversprechen einer grenzenlosen, digitalen Welt: Ein Ort, an dem sich Menschen begegnen, arbeiten, leben und investieren – alles rein virtuell. Plattformen wie Meta’s „Horizon Worlds“, Roblox, Decentraland oder The Sandbox versprachen eine neue Ära des Internets: immersiv, dreidimensional und dauerhaft vernetzt.
Doch was ist daraus geworden?
- Trotz des Hypes bleiben tägliche Nutzerzahlen im Metaverse vergleichsweise gering.
- Meta’s Horizon Worlds ist überwiegend in den USA verfügbar, aber auch dort verbrachte der durchschnittliche Nutzer oft weniger als 30 Minuten pro Session (Quartalsbericht Meta Q3 2022).
- Ein Großteil der VR-Welten ist fragmentiert, leer oder wird primär für Events oder Spekulation genutzt, nicht für dauerhafte soziale Interaktion.
Soziale Isolation durch virtuelle Nähe?
- Während das Metaverse verspricht, Menschen zu verbinden, erleben viele das Gegenteil: echte soziale Kontakte werden durch Avatare ersetzt, reale Emotionen durch Emojis simuliert.
Die Gefahr: Eine Verschiebung des sozialen Lebens in eine kontrollierte, aufgezeichnete und oft monetarisierte Scheinwelt.
Psychologen warnen vor der sogenannten VR-Vereinzelung: Je mehr Zeit in virtuellen Welten verbracht wird, desto mehr verlieren Nutzer den Bezug zum echten Leben – insbesondere bei jungen Menschen.
Wer steuert das soziale Verhalten?
- Jede Bewegung, jedes Gespräch, jede Reaktion im Metaverse ist theoretisch messbar, speicherbar, analysierbar.
- In VR-Umgebungen lässt sich Verhalten steuern – subtil, algorithmisch, gamifiziert. Die „Freiheit“ wird oft gegen programmierte Regeln und Werbung getauscht.
Investoren kaufen Land, das nicht existiert
Digitale Grundstücke für Millionen. Im Hype zwischen 2021–2022 wurden virtuelle Grundstücke in Plattformen wie The Sandbox oder Decentraland für hunderttausende bis Millionen US-Dollar verkauft. Bekannte Marken wie Gucci, Adidas oder JPMorgan sicherten sich digitale Präsenzflächen, um frühzeitig Marktanteile zu sichern – in der Hoffnung, dort irgendwann echtes Geld zu verdienen.
Spekulationsblase?
Die Preise für viele dieser „Parzellen“ sind seitdem drastisch gefallen. Der Markt für virtuelles Land ist weitgehend kollabiert – viele early-stage-Investoren blieben auf ihren Tokens sitzen.
Die Frage bleibt: Wem nützt diese künstlich geschaffene Knappheit an „virtuellem Raum“, wenn nur ein Bruchteil der Nutzer je darauf interagiert?
Wem dient das Metaverse wirklich?
Die Betreiber der Metaverse-Plattformen gewinnen etwas sehr Reales: Daten über Verhalten, Interessen, Bewegungsmuster, Kaufverhalten und soziale Dynamiken.
Der Traum von „freiem digitalen Leben“ weicht dem Geschäftsmodell: Die Nutzer sind das Produkt. Wenn alle im Metaverse sind pflegen wir keine echten zwischenmenschlichen Beziehungen mehr, entziehen wir uns der natürlichen Umwelt – und damit auch unserer Verantwortung für sie und so entsteht ein Raum, der jederzeit überwacht, analysiert, zensiert oder abgeschaltet werden kann.
In dieser neuen Realität besteht die Gefahr, dass sich der Mensch immer weiter in synthetische Räume zurückzieht, während die reale Welt vernachlässigt wird – ökologisch, sozial, politisch.
„Ready Player One“ – Vision oder Werbefilm?
Der Film Ready Player One (2018, Regie: Steven Spielberg, basierend auf dem Roman von Ernest Cline) wirkt im Rückblick fast wie ein früher Werbefilm für das Metaverse – lange bevor der Begriff in den Medien allgegenwärtig wurde. Die Parallelen sind frappierend: Eine verarmte, desillusionierte reale Welt, in der die Mehrheit der Menschheit ihre Zeit in einer hyperrealen, virtuellen Umgebung verbringt – der „OASIS“. Dort wird gearbeitet, gespielt, geliebt und sogar „gelebt“. Eigentum, Status und Erfolg existieren primär digital, nicht mehr im physischen Raum.
Diese Erzählung spiegelt sich heute in den Marketingstrategien vieler Tech-Konzerne: Das Versprechen, dem tristen Alltag zu entfliehen und im Digitalen Erfüllung zu finden. Der Film glorifiziert zwar einerseits die kreative Freiheit und grenzenlose Immersion der virtuellen Welt – gleichzeitig warnt er aber auch vor ihrer totalen Vereinnahmung und vor der Machtkonzentration in den Händen weniger Konzerne.
Digitale Träume mit echten Nebenwirkungen
Wenn das Metaverse zum dominanten Lebensraum wird, wenn wir uns darin verlieren, dann opfern wir echte Verbundenheit, Unabhängigkeit und Menschlichkeit auf dem Altar der Digitalisierung. Die entscheidende Frage ist nicht, ob wir im Metaverse leben können – sondern:
Wollen wir in einer Welt leben, in der echte Begegnungen durch digitale ersetzt werden? Wir wissen nie, ob uns das Gegenüber wirklich gegenübersitzt oder nur eine KI‑Stimme ist, ob der freundliche Avatar tatsächlich die menschliche Wärme ausstrahlt, die er vorgibt. Und während wir uns in pixelperfekten Welten verlieren, verkümmert die Intuition dafür, wer wir vor uns haben und was wir in diesem Moment wirklich fühlen.
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