Im Zeitalter der Selbstoptimierung und der ständigen mentalen Selbstreflexion scheint die Suche nach dem „Selbst“ vor allem eine kognitive Angelegenheit zu sein. Wir verbringen Stunden damit, in uns hineinzuhorchen, uns über unsere Gedanken und Ideen zu definieren und uns mit Konzepten von „Wer wir sind“ auseinanderzusetzen. Doch dieser Weg führt uns nicht unbedingt zur wahren Erkenntnis unseres Selbst. Die Aussage „Sich selbst zu kennen hat nichts mit den Gedanken zu tun, die einem durch den Kopf gehen. Sich selbst zu kennen bedeutet, im Sein verwurzelt zu sein, anstatt sich in den Gedanken zu verlieren.“ eröffnet eine tiefere Dimension der Selbsterkenntnis, die jenseits von Gedanken und Konzepten liegt und uns dazu einlädt, unsere wahre Natur zu entdecken.

Der Unterschied zwischen „Gedanken“ und „Sein“

Die erste Schlüsselidee dieser Aussage ist der Unterschied zwischen Gedanken und „Sein“. Gedanken sind flüchtig, sie kommen und gehen, sie sind oft von äußeren Einflüssen, Emotionen oder Gewohnheiten geprägt. Sie spiegeln nicht immer unser wahres Selbst wider, sondern oft nur einen Momentaufnahme oder eine Reaktion auf die Welt um uns herum. Gedanken können uns mit Erinnerungen, Sorgen oder Projektionen in die Zukunft fesseln. Wenn wir uns nur mit unseren Gedanken identifizieren, verlieren wir uns schnell in der Flut von „Was-wäre-wenn“-Szenarien oder negativen Glaubenssätzen.
Das „Sein“ hingegen ist tief und unveränderlich. Es ist das, was bleibt, wenn alle Gedanken verschwinden. Es ist die stille Präsenz, die uns durch alle Erfahrungen hindurch begleitet, unabhängig von den wechselnden Inhalten unseres Geistes. In dieser „Seinsweise“ sind wir nicht auf bestimmte Vorstellungen oder Definitionen angewiesen, sondern erfahren uns selbst direkt und ohne Filter.

Das Wurzeln im „Sein“

„Wurzeln im Sein“ bedeutet, im gegenwärtigen Moment zu leben, ohne ständig in den Gedanken zu verweilen. Es bedeutet, sich nicht in einer unendlichen Spirale von Selbstanalyse zu verlieren, sondern zu erkennen, dass wahre Selbsterkenntnis nur durch das Loslassen von Konzepten und Vorstellungen erreicht werden kann. Wenn wir uns vom „Sein“ durchdringen lassen, erfahren wir uns als untrennbaren Teil des Universums. Diese Wurzeln im „Sein“ verankern uns in einer tiefen, stabilen Quelle von Frieden und Klarheit.
Der Zustand des „Seins“ ist nicht abhängig von Erfolg, Misserfolg, Freude oder Schmerz. Er ist unverändert, während unser Leben und unsere Gedanken immer im Fluss sind. In dieser Haltung können wir wahrhaftig in Kontakt mit uns selbst kommen, ohne uns von der Unruhe des Geistes fortreißen zu lassen. Es ist ein Zustand der inneren Ruhe und der Authentizität.

Welche Konzepte und Vorstellungen sollte man loslassen, um wahre Selbsterkenntnis zu erlangen?

Echte Selbsterkenntnis beginnt oft mit dem Loslassen alter Vorstellungen. Hier einige zentrale Konzepte, die sich als hinderlich herausstellen können:

  • „Ich bin, was ich leiste“ Die Identifikation mit Erfolg, Karriere, Status
  • „Ich muss perfekt sein“ Der Irrglaube, nur in Fehlerlosigkeit sei man liebenswert
  • „So bin ich eben“ Feste Identitätsbilder, die Wachstum verhindern (z. B. „Ich bin kein kreativer Mensch“)
  • „Andere sind schuld“ Projektionen, die von der Eigenverantwortung ablenken
  • „Ich bin getrennt“ Die Vorstellung, allein und isoliert zu sein – statt verbunden mit allem
  • Wissen ist Wahrheit“ Der Glaube, Verstand allein könne das Leben erfassen – statt intuitivem, erfahrbarem Wissen

Der Verlust in den Gedanken – eine Illusion der Identität

Das Verlorensein in den Gedanken ist eine der größten Herausforderungen der modernen Welt. Der ständige Strom von „Was soll ich tun?“, „Was denken die anderen von mir?“, oder „Wer bin ich wirklich?“ ist eine Illusion der Identität. Wenn wir uns mit diesen Gedanken identifizieren, glauben wir, dass sie unsere wahre Natur ausmachen. Wir nehmen an, dass unsere Gedanken unsere Identität definieren und dass wir ohne sie „nichts“ wären.
Doch diese Identifikation ist der Ursprung vieler innerer Konflikte. Gedanken sind nicht das wahre Selbst, sondern nur Momentaufnahmen von Erfahrungen, Meinungen oder Wahrnehmungen. Sie kommen aus unserer Vergangenheit, unseren Ängsten, oder sie sind Projektionen in die Zukunft. Aber sie sind nicht unser wahres Wesen. Wenn wir uns nur auf sie verlassen, um uns selbst zu definieren, verfehlen wir das Wesentliche.

Die Kunst des Nicht-Denkens

„Sich selbst zu kennen bedeutet, im Sein verwurzelt zu sein“ fordert uns dazu auf, die Kunst des Nicht-Denkens zu erlernen. Das bedeutet nicht, dass wir den Verstand oder das Denken an sich ablehnen, sondern dass wir die Fähigkeit entwickeln, uns von unseren Gedanken nicht vereinnahmen zu lassen. Indem wir regelmäßig in den gegenwärtigen Moment eintauchen und auf das „Sein“ zugreifen, können wir die ständige Gedankenkreiseln durchbrechen und in eine tiefere Form der Achtsamkeit und Selbstwahrnehmung eintauchen.
Die Praxis der Meditation, das Eintauchen in die Natur, das bewusste Atmen und das Loslassen von gewohnten Denkmustern sind Wege, uns immer wieder mit diesem „Sein“ zu verbinden. In diesen Momenten der Stille erfahren wir uns selbst als das, was wir jenseits von Gedanken wirklich sind.

Die Freiheit der Selbsterkenntnis

Wenn wir uns von der Identifikation mit unseren Gedanken lösen, eröffnet sich uns die Freiheit, unser wahres Selbst zu erkennen. Diese Freiheit ist nicht die Freiheit von etwas (z. B. von äußeren Umständen oder Gedanken), sondern die Freiheit, in unserem wahren Wesen zu sein – jenseits von Bewertungen, Urteilen und Konzepten. Wir müssen uns nicht mehr definieren oder immer wieder nach der Antwort auf die Frage „Wer bin ich?“ suchen, weil wir wissen, dass die Antwort in der Tiefe unseres Seins liegt – in der Stille, im „Jetzt“, in der reinen Präsenz.

Schlussfolgerung

„Sich selbst kennen“ lehrt uns, dass wahre Selbsterkenntnis keine intellektuelle Übung ist, sondern ein Zustand der inneren Präsenz. Indem wir uns vom Strom unserer Gedanken lösen und im „Sein“ verwurzeln, erkennen wir unser wahres Wesen. In diesem Zustand sind wir frei von den Illusionen, die uns durch unsere Gedanken vorgespielt werden, und erfahren uns als das, was wir immer schon sind: ein Teil des unendlichen, gegenwärtigen Moments.

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