In einer Zeit, in der neuronale Prozesse nicht mehr nur erforscht, sondern technisch reproduziert, beeinflusst und simuliert werden, verschieben sich die Grenzen zwischen Erkenntnisgewinn und Intervention. Forschungsprogramme wie CRCNS, die BRAIN Initiative oder DARPA UPSIDE tragen entscheidend dazu bei, dass aus der Neurowissenschaft eine technologische Infrastruktur entsteht – mit weitreichenden Folgen für Autonomie, geistige Freiheit und das Verhältnis von Mensch und Maschine.

Das CRCNS-Programm (Collaborative Research in Computational Neuroscience) erscheint vordergründig als wissenschaftlich-motivierte Zusammenarbeit zwischen Informatik, Mathematik und Neurowissenschaften. Doch hinter der harmonischen Fassade internationaler Forschungskooperationen steht ein klarer Trend: die zunehmende mathematische Operationalisierung neuronaler Prozesse – nicht nur zum Verstehen, sondern zur Modellierung, Vorhersage und Steuerung.

Was als Grundlagenforschung beworben wird, schafft die Voraussetzung für neuroadaptive Systeme, maschinelle Kognition und Simulation mentaler Zustände. Wenn neuronale Abläufe präzise modelliert sind, wird es möglich, sie technisch zu imitieren – oder zu manipulieren. Die dabei entstehenden Rechenmodelle und Dateninfrastrukturen werden langfristig nicht nur medizinisch genutzt, sondern auch für militärische, wirtschaftliche oder sicherheitstechnische Anwendungen attraktiv.

Auch die 2013 gestartete BRAIN Initiative verfolgt offiziell das Ziel, neurologische Erkrankungen besser zu verstehen und neue Therapien zu entwickeln. Doch diese Begründung blendet aus, dass der überwiegende Teil der Finanzierung in den Aufbau technischer Plattformen, Datenerfassungssysteme und Eingriffstechnologien fließt – nicht in die unmittelbare Behandlung von Patienten.

Die Initiative bringt staatliche Forschungsförderung (NIH, NSF, DARPA) mit Industrieinteressen und KI-Forschung zusammen. Der Fokus liegt zunehmend auf der Entwicklung von Interfaces, die neuronale Aktivität nicht nur aufzeichnen, sondern gezielt beeinflussen können – sei es per Elektrostimulation, Optogenetik oder neuronalen Chips. In Kombination mit KI-Analyse entstehen Werkzeuge, mit denen nicht nur Symptome behandelt, sondern potenziell Verhalten beeinflusst, Gedankenstrukturen verändert oder Wahrnehmung moduliert werden können.

Es stellt sich die Frage: Geht es wirklich nur um medizinische Heilung? Oder wird hier technisches Wissen aufgebaut, das später völlig andere Anwendungen erlaubt – etwa im Bereich von Überwachung, Verhaltenslenkung oder gar neuronaler „Optimierung“?

DARPA UPSIDE – Rechnen wie das Gehirn, denken wie der Staat?

Das Programm UPSIDE (Unconventional Processing of Signals for Intelligent Data Exploitation) zeigt noch deutlicher, dass Neurotechnologie nicht nur zur Unterstützung des Menschen gedacht ist, sondern zur Automatisierung kognitiver Prozesse im Dienste strategischer Auswertung. UPSIDE zielt auf hochperformante Rechensysteme, die analog, probabilistisch und inference-basiert funktionieren – also ähnlich wie das menschliche Gehirn Muster erkennt und Entscheidungen trifft.

Diese Systeme sollen große Datenmengen aus Sensorik, Videoüberwachung oder ISR-Quellen (Intelligence, Surveillance, Reconnaissance) selbstständig auswerten – mit minimalem Energieaufwand, hoher Geschwindigkeit und geringer Entdeckbarkeit. Was entsteht, ist eine maschinelle Wahrnehmungsinfrastruktur, die kognitive Fähigkeiten maschinell simuliert und in Echtzeit nutzbar macht – ohne menschliche Kontrolle.

Die Implikation: Während CRCNS das Modell baut, und die BRAIN Initiative das Interface bereitstellt, nutzt UPSIDE die Prinzipien des Gehirns, um autonome technische Intelligenz zu formen – nicht zur Unterstützung des Individuums, sondern womöglichh zur Überwachung, Steuerung und militärisch-strategischen Optimierung.

Alle drei Programme – CRCNS, BRAIN, UPSIDE – teilen eine Struktur, die für moderne Forschung zunehmend typisch ist:

  • Offizielle Zielsetzung: Heilung, Wissen, Innovation.
  • Tatsächlicher Fokus: Plattformaufbau, technische Kontrolle, Verhaltensmodellierung.
  • Mögliche langfristige Folge: Verschränkung biologischer, kognitiver und technischer Systeme – mit unsichtbaren Machteffekten.

Was heute als „Hilfe für Kranke“ oder „Verstehen des Gehirns“ verkauft wird, kann morgen zur Grundlage von Behavioral Engineering, neuronaler Leistungssteigerung oder gar gezielter Gedankenkontrolle dienen – vor allem dann, wenn diese Technologien aus dem medizinischen Bereich in die zivile, wirtschaftliche oder sicherheitsrelevante Nutzung überführt werden.

Dass solche Entwicklungen oft nicht transparent kommuniziert werden, sondern in gestaffelten Etappen verlaufen, ist kein Zufall: Die wahre Bedeutung vieler Technologien wird erst sichtbar, wenn sie bereits etabliert sind. Was als ethisch motiviertes Projekt beginnt, endet zuweilen als Infrastruktursystem zur Überwachung, Steuerung und Kontrolle – mit massiven Auswirkungen auf Privatsphäre, Selbstbestimmung und das Verständnis des Menschen.

Programme wie CRCNS, die BRAIN Initiative und DARPA UPSIDE markieren eine tektonische Verschiebung: vom Verstehen des Gehirns zur technischen Externalisierung kognitiver Fähigkeiten. Sie bauen wohl eher die Grundlagen für eine Welt, in der das Gehirn nicht nur Objekt der Forschung ist – sondern Schnittstelle, Zielscheibe und Ressource zugleich.

Wenn wir nicht kritisch hinterfragen, wohin diese Entwicklungen führen, besteht die Gefahr, dass neurotechnologische Forschung nicht dem Menschen dient, sondern ihn Schritt für Schritt in eine technokratische Ordnung überführt – in der Denken, Fühlen und Entscheiden nicht mehr nur biologisch, sondern programmierbar wird.

Quellenliste

CRCNS

  • National Science Foundation. Collaborative Research in Computational Neuroscience (CRCNS) | NSF 24‑510. Online‑Ausschreibung mit Überblick über Ziele und Förderbedingungen. NSF – National Science Foundation
  • CRCNS Organisation. About — CRCNS.org. Beschreibung des Programms, Daten‑ und Kooperationscharakter der Projekte. crcns.org

BRAIN Initiative

  • BRAIN Initiative. Overview | The BRAIN Initiative®. Offizielle Darstellung der Mission, Partner und Organisation. braininitiative.nih.gov
  • National Institute of Neurological Disorders and Stroke (NINDS). NIH BRAIN Initiative launches projects …. Artikel zu neuen Forschungsprojekten mit Technologie‑Fokus. ninds.nih.gov
  • National Institutes of Health (NIH). NIH greatly expands investment in BRAIN Initiative. Übersicht über Mittel, Forschungsschwerpunkte und Infrastrukturentwicklung. National Institutes of Health (NIH)

UPSIDE

  • Wired. “Darpa Has Seen the Future of Computing … And It’s Analog”. Bericht über das DARPA UPSIDE‑Programm, Fokus auf analoges/probabilistisches Rechnen, Energieeffizienz und militärische Anwendungen. WIRED

Technologie‑Evolution vs. ursprüngliche Zielsetzung: Viele dieser Programme starten mit klar human‑ und gesundheitsorientierten Zielen (z. B. „Verstehen des Gehirns“, „Heilung neurologischer Erkrankungen“) — die technologischen Plattformen und Infrastrukturen, die dabei entstehen, tragen jedoch Potenzial für andere Nutzungen (z. B. Überwachung, Neuro‑Intervention, Steuerung). Dieses Spannungsfeld sollte bedacht werden. Langfristige Auswirkungen auf das Mensch‑Maschine‑Verhältnis: Wenn neuronale Prozesse erkannt, beeinflusst oder simuliert werden können, ergeben sich Fragen nach Autonomie, Identität, Datenschutz und Menschsein. Forschungsprogramme dieser Art legen die technische Grundlage dafür — daher ist die Analyse ihrer Implikationen zentral.

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