Die Ehe – seit Jahrhunderten gilt sie als einer der bedeutendsten Schritte im Leben zweier Menschen. Ein Versprechen, einander zu lieben, zu achten und „bis dass der Tod uns scheidet“ beieinander zu bleiben. Doch wie zeitgemäß ist dieses Gelübde heute wirklich – vor allem in der Form, in der es in vielen Ländern praktiziert wird?

Der Ablauf ist oft nüchtern: Zwei Menschen, die sich lieben, gehen zu einem Standesbeamten – meist einer Person, der sie zuvor nie begegnet sind – und sprechen formelhafte Worte, die Millionen vor ihnen bereits gesprochen haben. Mit zwei Zeugen, die offiziell bestätigen, dass man sich diese Versprechen tatsächlich gegeben hat, wird eine Unterschrift geleistet. Ein Verwaltungsakt, der in seiner Symbolik Jahrhunderte alt ist, aber in seiner praktischen Bedeutung stark an den staatlichen und finanziellen Rahmen gebunden ist.

Doch was bringt dieser äußere Akt wirklich?

Wer braucht heute noch Zeugen, um sich gegenseitig ein Versprechen zu bestätigen, wenn die eigentliche Kraft einer Verbindung doch aus der gelebten Beziehung selbst kommen sollte? In einer Welt, in der Paare sich oft schon Jahre vor einer Eheschließung kennen, zusammenleben, gemeinsame Projekte oder Kinder haben, wirkt die offizielle Zeremonie manchmal wie ein Überbleibsel aus einer Zeit, in der Ehen eher gesellschaftliche Verträge als persönliche Liebesentscheidungen waren.

Der Mensch verändert sich – und mit ihm die Beziehung.
Was einst wie eine perfekte Passung erschien, kann sich mit der Zeit wandeln. Unterschiedliche Werte, neue Lebensziele, veränderte berufliche Wege, Familienerwartungen, Wohnortwechsel oder schlicht die persönliche Entwicklung können dazu führen, dass aus einstigen Partnern Fremde werden. Die Idee, ein Versprechen, das in einem bestimmten Lebensabschnitt gegeben wurde, müsse zwingend für immer gültig bleiben, verkennt die Natur menschlichen Wachstums.

Die finanziellen Realitäten – ein unromantischer, aber entscheidender Aspekt

In vielen Rechtssystemen gilt nach einer Scheidung die Teilung von Vorsorge- oder Rentenansprüchen. Das bedeutet: Selbst wenn einer der Partner den Großteil dieser Ansprüche selbst erarbeitet hat, wird er im Trennungsfall einen erheblichen Teil davon abgeben – oft unabhängig davon, ob der andere Partner in gleichem Maß beigetragen hat.
Das Beispiel ist leicht nachvollziehbar: Ein Banker, der über Jahrzehnte hohe Beiträge in die Pensionskasse einzahlt, heiratet eine Coiffeuse, die deutlich weniger verdient. Kommt es zur Scheidung, verliert er nicht nur einen Teil seines emotionalen und physischen Lebensinvestments, sondern auch einen erheblichen Teil seines finanziellen. Die gesetzliche Regelung ist aus einer Zeit, in der Ehen oft eine wirtschaftliche Abhängigkeit – meist der Frau – ausgleichen sollten. Doch in einer Gesellschaft, in der beide Partner grundsätzlich eigenständig verdienen können, wirkt diese Pflichtteilung für viele ungerecht.

Eine provokante Frage drängt sich auf:
Wie viele Menschen würden heute noch heiraten, wenn nicht die Gütergemeinschaft oder die Teilung von Vorsorgeansprüchen der Standard wäre, sondern stattdessen „Gütertrennung“ – also die klare Trennung finanzieller Einlagen – der gesetzliche Normalfall? Würde die Zahl der Eheschließungen sinken, wenn klar wäre, dass eine Trennung nicht automatisch den hälftigen Zugriff auf das, was einer selbst erwirtschaftet hat, bedeutet?

Vielleicht ist es an der Zeit, die Ehe nicht als starres, unverrückbares Konstrukt zu sehen, sondern als eine Partnerschaft, die bewusst gewählt und immer wieder erneuert wird – nicht aus Pflicht, nicht aus Angst vor Verlust, sondern aus echter Verbindung. Und vielleicht braucht es neue Formen des Gelübdes, statt starrer Verträge, die mehr den Interessen des Staates als denen der Liebenden dienen.

„Liebe als tägliche Wahl – nicht als Kette“

Wahre Verbindung lebt nicht davon, dass man sich vor Jahren einmal etwas geschworen hat, sondern davon, dass man sich heute – und jeden Tag neu – füreinander entscheidet. Beziehungen sind kein Gefängnis aus Pflicht, sondern ein Raum, in dem Herzen frei atmen dürfen. Wenn die Schwingung zweier Menschen nicht mehr harmoniert, ist das keine Schuldfrage, sondern ein natürlicher Ausdruck individueller Entwicklung. Liebe bedeutet dann nicht, um jeden Preis festzuhalten, sondern Wege zu finden, wie beide weiter wachsen können – gemeinsam oder getrennt. Manchmal ist das größte Geschenk, das wir geben können, das Loslassen in Dankbarkeit.

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