Die Vorstellung, dass ein Mensch künftig nicht nur nach seinem Einkommen oder Bildungsgrad bewertet wird, sondern nach seinem sozialen Verhalten – klingt wie Science-Fiction. Doch in Teilen Chinas ist dieses System bereits Realität: das „Social Credit System“.
Was als Pilotprojekt begann, ist heute ein flächendeckendes Kontrollsystem in mehreren Städten – mit tiefgreifenden Auswirkungen auf das Leben der Betroffenen.
Was deinen Social Score bestimmt
Der soziale Punktestand eines Bürgers wird in China durch zahlreiche Faktoren beeinflusst – darunter:
Positives Verhalten:
- pünktliches Bezahlen von Rechnungen
- Ehrenamtliche Tätigkeiten
- Lob von Arbeitgebern oder Behörden
- Pflege von Angehörigen
Negatives Verhalten:
- Überqueren einer roten Ampel
- Kritik an der Regierung (auch online)
- falsche Informationen verbreiten
- Schulden nicht begleichen
- zu lautes Musikhören in öffentlichen Verkehrsmitteln
Diese Daten werden durch Kameras, KI-Systeme, Plattformen wie WeChat oder Alipay und Gesichtserkennung erfasst, ausgewertet und zentral gespeichert.
Konkrete Folgen bei „schlechtem“ Verhalten
Wer in China einen schlechten Social Score hat, muss mit spürbaren Einschränkungen rechnen:
- Flug- und Zugtickets werden verweigert
- Kinder dürfen nicht auf bestimmte Schulen gehen
- Kredite und Versicherungen werden abgelehnt
- Dating-Apps zeigen dich nicht mehr an
- Arbeitgeber meiden dich
- Behörden verweigern Dokumente
- Öffentliche „Schwarze Listen“ mit Name, Foto und Vergehen
In extremen Fällen kann die Person regelrecht aus dem sozialen Leben ausgeschlossen werden – ohne richterliches Verfahren, allein basierend auf algorithmischer Bewertung.
QR-Codes, Gesichtserkennung & „Lächelzwang“
In chinesischen Großstädten ist es heute schon Standard:
- Öffentliche Verkehrsmittel, Cafés, Ämter oder Wohnanlagen verlangen QR-Codes zur Identitätsverifikation.
- Automaten, etwa an Bahnhöfen oder Ampeln, verlangen mitunter, dass man lächelt, um Zugang zu erhalten – per Gesichtserkennungssoftware wird die Stimmung erkannt.
- Manche Schulen setzen KI-Kameras im Klassenzimmer ein, die den Gesichtsausdruck der Schüler auswerten und analysieren, ob sie „aufmerksam“ sind.
Diese Technologien werden mit dem Argument von Sicherheit und Effizienz eingeführt – doch in Wahrheit entsteht eine Gesellschaft permanenter Bewertung und Selbstzensur.
Die dystopische Analogie: Black Mirror
Die Netflix-Serie Black Mirror hat in der Folge „Nosedive“ (Staffel 3, Folge 1) genau dieses Szenario fiktiv dargestellt: Jeder Mensch bewertet jeden – nach jedem Gespräch, jeder Interaktion, jedem Lächeln.
- Menschen mit hohem Score leben privilegiert: Erste Klasse, Wohnviertel, Jobs.
- Menschen mit schlechtem Score verlieren alles – durch eine einzige negative Bewertung.
- Die Hauptfigur zerbricht an der ständigen Notwendigkeit, perfekt und angepasst zu wirken, bis sie aus dem System fällt.
Was als Satire gedacht war, wird in Teilen Chinas bereits Realität – und könnte mit der Ausbreitung digitaler Zahlungsmittel, Gesundheits-Apps, Mobilitätsdaten und Gesichtserkennung auch in westlichen Gesellschaften Einzug halten.
Wohin das führt
Ein soziales Bonitätssystem auf Basis von KI und Verhaltensanalyse hat tiefgreifende Folgen:
- Menschen verändern ihr Verhalten nicht aus Überzeugung, sondern aus Angst vor Abwertung.
- Abweichung vom „erlaubten Narrativ“ wird wirtschaftlich und sozial sanktioniert.
- Das System erzeugt Selbstzensur, Misstrauen und soziale Fragmentierung.
- Der Staat oder ein Plattformanbieter wird zum Richter über den „Wert“ eines Menschen.
Was wie ein modernes Verwaltungssystem aussieht, ist in Wahrheit ein digitaler Käfig – unsichtbar, effizient und lückenlos.
Bewertung als Machtinstrument
Der „Social Score“ ist keine abstrakte Vision, sondern in Teilen der Welt gelebte Realität. Er kombiniert Technologie, Politik und Psychologie zu einem System maximaler Kontrolle – bei gleichzeitigem Verlust von Freiheit, Spontanität und Individualität.
Die eigentliche Gefahr besteht nicht darin, dass wir beobachtet werden –
sondern dass wir beginnen, uns selbst ständig zu beobachten.
Bild: freepik.com
